Gewerkschaftsarbeit
Verfasser*in: Weiblich, 25, MA Sozialwissenschaften Kultur und Person
Vorerfahrungen: 6-wöchiges Praktikum in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, 1-jähriges FSJ beim Netzwerk für Demokratie und Courage
Zwischen dem Bachelor und dem
Master habe ich mich entschieden, ein 16-wöchiges Praktikum in einem Bereich zu
machen, in dem ich mir vorstellen könnte
beruflich zu arbeiten: Gewerkschaften sind eine der Organisationsmöglichkeiten
für abhängig Beschäftigte, um für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen
einzutreten. Deswegen wollte ich mehr über betriebliche Mitbestimmung,
Widerstandsformen und politische Bildungsarbeit wissen. Auf eigene Initiative
und über Kontakte in die Gewerkschaft habe ich mich in der Leipziger
Geschäftsstelle der IG Metall beworben und wurde daraufhin zu einem
Vorstellungsgespräch eingeladen. Wir
haben abgesprochen, was am Interessantesten für mich werden könnte: Da ich mich
für gewerkschaftliche Bildungsarbeit interessiere, durfte ich auf der
Betriebsrätekonferenz einen Vortrag über Mutterschutz, Elterngeld und
Elternzeit halten. Dabei geht es vor allem darum, wie schwierige Gesetzestexte
so zusammengefasst und formuliert werden können, dass Betriebsrät*innen die
Beschäftigten individuell beraten können. Auch durfte ich bei der betrieblich
strategischen Erschließungsarbeit mithelfen, beispielsweise Informationen über
Unternehmen herauszusuchen: Wie stellt sich das Unternehmen selbst dar? Wie ist
die mediale Berichterstattung? Konnte die IG Metall schon an anderen Standorten
gewerkschaftliche Strukturen aufbauen? Neben dieser Vorarbeit bereitete ich vor
allem die Treffen zwischen der Gewerkschaft und den Arbeiter*innen vor. Auch organisierte
ich Veranstaltungen. Meine Aufgabe war es, Referent*innen und Interessierte einzuladen
und die Infrastruktur vor Ort zu gewährleisten. Das Außergewöhnlichste in
meiner Praktikumszeit war der Streik in einer Gießerei: Ich konnte fast jeden
Tag dabei sein und den Alltag in einem Arbeitskampf miterleben. Ich half bei
der Streikregistrierung, hängte Plakate auf, recherchierte in Medien Streikberichte,
unterstützte die Streikzeitung bei Interviews, Fotos und kurzen Texten. Auch
durfte ich an Sitzungen der Streikleitung teilnehmen, an Gerichtsverhandlungen
und Demonstrationen.
Insgesamt hat mir das Praktikum bei der IG Metall Leipzig sehr gut gefallen, am
Spannendsten war das Miterleben des Arbeitskampfs. Das war etwas Besonderes,
weil selbst für die dortigen Gewerkschaftssekretäre
ein Erzwingungsstreik nicht alltäglich ist. Selten wurde ich mit eher einfachen
Aufgaben betraut, mir wurde viel eigenständiges Arbeiten überlassen, wobei ich
trotzdem immer wieder Fragen stellen konnte und Hilfe bekam.
meine persönlichen Learnings:
- Dass die wissenschaftliche Sprache außerhalb der Universität nicht nützlich ist, da sie von dem Großteil der Bevölkerung nicht verstanden und sogar abgelehnt wird
- Dass ein wochenlanger Streik eine gesamte Geschäftsstelle beansprucht, Gewerkschafter und die Arbeiter*innen stark zusammenschweißt und ein Streik nachhaltige Wirkung bei den Beschäftigten entfaltet
- Dass durch die Kombination und Verzahnung von (Streik)Druck, Verhandlungsgeschick und offensiver Öffentlichkeitsarbeit ein zunächst aussichtloses Unterfangen letztlich erfolgreich sein kann (Verhinderung der Schließung war kaum zu erwarten).
SoWi hat mir dabei geholfen, dass…
… ich mir im Studium theoretisches Wissen über kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse von Arbeiter*innen angeeignet habe und in der Praxis der Gewerkschaftsarbeit anwenden konnte.
… ich im akademischen Kontext über Klassenverhältnisse lernen konnte und dann im Praktikum erfuhr, wie Arbeiter*innen selbst über ihre Klassenzugehörigkeit denken.
… ich über die Selbstwahrnehmung und eigene Verortung der Gewerkschaften innerhalb des Kapitalismus zwar viele Texte lesen konnte, aber die Gespräche mit den Gewerkschaftern mir besser dabei helfen konnten, ihre alltägliche Arbeit zu verstehen.